Gründung der Vereinigungskirche

Aus der kleinen Gruppe von Menschen in Pusan wurde eine etwas größere in Pusan und Taegu, und ab Herbst 1953 unternahm Rev. Moon regelmäßige Reisen zwischen Pusan, Taegu, Seoul, und anderen Orten, an denen Mitglieder seiner Gruppe aktiv waren. In Seoul gründete er zusammen mit vier Nachfolgern am 1. Mai 1954 offiziell die Organisation, deren Name später mit "Holy Spirit Association for the Unification of World Christianity" (HSA-UWC) ins Englische übersetzt und letztlich als Unification Church – Vereinigungskirche bekannt wurde. David S.C. Kim, einer der Mitbegründer, erinnert sich: "Drei Namensvorschläge für die zu gründende Organisation wurden uns vieren von Vater vorgestellt. Zwei davon waren so kompliziert, daß wir noch nicht einmal die Bedeutung der betreffenden chinesischen Schriftzeichen verstanden. Unter den drei Vorschlägen Vaters wählten wir den heutigen Namen aus, der aus 11 chinesischen Schriftzeichen besteht."

Das Gründungskomitee übersetzt dabei zwei der Schriftzeichen mit Holy Spirit - Heilig Geist, ist sich aber bewußt, daß die wörtliche Übersetzung spiritual - spirituell, geistlich lauten müßte. Kim merkt weiter an: "Der Name wird manchmal von Theologen mit dem Heiligen Geist der Trinität verwechselt, aber damals schien keine andere Übersetzung adäquat." Nur wenige Monate später konnte David Kim aufgrund eines UNO-Stipendiums für zwei Jahre nach England reisen. Mit auf den Weg bekam er den Auftrag, dort Zeugnis für seinen Glauben abzulegen. Trotz nachhaltiger Anstrengungen und intensiver Kontakte zu christlichen Gruppen gelang es David Kim damals nicht, in England die erhoffte Anhängerschaft zu finden. Infolge seiner Ansprache bei einer Versammlung christlicher Pastoren besuchte allerdings zwei Jahre später ein Pastor Joseph McCabe die Kirche in Korea und half Young Oon Kim bei der Übertragung einiger Lehrtexte ins Englische.

Doch mit dieser Etablierung einer legalen Körperschaft waren die Probleme noch lange nicht vorbei. Die Gruppe war arm und bezog ein kleines Haus in Seoul, das bald zum Anziehungspunkt für gläubige Menschen und intellektuelle Köpfe wurde. War es in Pyong-Yang vorwiegend das mystisch-spirituelle Erleben, das die Gemeinschaft kennzeichnete, so standen nun Gebet und die Lehre der Göttlichen Prinzipien im Mittelpunkt. Die Inhalte der Göttlichen Prinzipien wurden in stundenlangen Vorträgen erklärt, von Sun Myung Moon selber oder von Hyo Won Eu, einem Akademiker, der sich Ende 1953 der Bewegung angeschlossen hatte.

Aber auch diese Studienkreise sprengten den Rahmen des Gewohnten. Ein Mr. Kwang-Yol Yoo schloß sich in dieser Phase der Vereinigungskirche an. Er berichtet: "Viele Menschen wurden in dieser Zeit Kirchenmitglieder. Die Kirche war so gut wie nicht organisiert. Auch Lehrgänge wurden noch nicht angeboten. Wenn jemand morgens kam, um einen Vortrag über die Göttlichen Prinzipien zu hören, dauerte dieser Vortrag bis in die Mittagszeit. Kirchenmitglieder boten den Gästen dann eine Mahlzeit an, und der anschließende Vortrag erstreckte sich bis in die Abendstunden. Es folgte ein Abendessen, und man ermutigte die Gäste, auch am Abend dazubleiben, da sie nun schon einmal den ganzen Tag hier gewesen waren. Der Abendvortrag ging weiter und weiter und fand kein Ende… Kurz vor Mitternacht hörte der Vortrag auf. Vater kam herein und wurde von Mr. Eu, dem Lehrer, vorgestellt. Es war eine richtige Routine."

Viele Besucher, Männer wie Frauen, blieben dann - aus eigenem Wunschh oder aus Notwendigkeit - die ganze Nacht, weil nämlich eine polizeiliche Ausgangssperre das Verlassen des Hauses nach Mitternacht unmöglich machte. Ein voller Vortragszyklus nahm drei Tage in Anspruch, und viele Zuhörer und Zuhörerinnen weilten für die gesamte Dauer in der Vereinigungskirche. Die Kirchenmitglieder fühlten eine enorme Dringlichkeit und betrachteten es als eine im inneren Sinn lebenswichtige Angelegenheit, daß ihre Gäste möglichst einen vollen Vortragszyklus anhörten. Won Pil Kim: "Sobald Menschen kamen und den Prinzipien zuhörten, baten wir sie, über Nacht zu bleiben und am nächsten Tag weitere Vorträge zu hören. Wenn sie aufbrechen wollten, bettelten wir wirklich, daß sie bleiben sollten. Wir fühlten, sie würden Gefahr laufen, geistig zu sterben, wenn sie jetzt gingen." Für den durchschnittlichen Koreaner war es in der damaligen Zeit undenkbar, daß eine Frau sich mehrere Nächte außer Haus herumtrieb. Die ungewöhnlichen Kirchenbewohner erweckten bald Aufsehen in der Nachbarschaft, und erste Gerüchte sprossen. Diese Gerüchte verstärkten sich, als die Vereinigungskirche im Wintersemester 54/55 unter den Studentinnen einer christlichen Frauenuniversität populär wurde. Zwei Professorinnen, die von der Leitung dieser Ehwha Womens´ University vorgeschickt worden waren, um die Gruppe unter die Lupe zu nehmen und die Studentinnen zur Räson zu bringen, wurden, sehr zum Mißfallen der methodistischen Universitätspräsidentin, selber Mitglieder der Vereinigungskirche.

Eine drei Monate andauernde Auseinandersetzung entbrannte, während der Studentinnen und Professorinnen, die in Kontakt mit der Vereinigungskirche standen, ultimativ zur Distanzierung von dieser religiösen Gruppe aufgefordert wurden. Die Presse zeigte sich zunächst auf Seiten der etwa 100 betroffenen Studentinnen und verwies auf die Religionsfreiheit. Jedoch war die Vizepräsidentin der Universität politisch sehr einflußreich, sie sorgte dafür, daß Gerüchte von seltsamen Riten und ungewöhnlichem Verhalten in den Medien verbreitet wurden. Genauso wie christlich geführte Universitäten nach Geschlechtern getrennt waren, saßen im Korea der fünfziger Jahre auch Männer und Frauen während des Gottesdienstes in verschiedenen Abteilungen einer Kirche, oft sogar ohne jeden Blickkontakt zum anderen Geschlecht. In den drei Zimmer der Vereinigungskirche wäre diese strikte Trennung nicht durchführbar gewesen. Obwohl die eheliche Reinheit als einer der wichtigsten Inhalte gelehrt wurde, verbreiteten sich Gerüchte über absonderliche Beziehungen, die in diesem kleinen Haus vollzogen würden. Man munkelte, Besucher würden durch Wegnahme jeglicher Kleidung am Verlassen der Kirche gehindert. Die Emotionen und Vorurteile explodierten darin, daß ein Mob eines Tages mit Steinen und Stöcken auf die Kirche losging und Dach und Fenster einschlug.

Auch der Streit an der Ehwha Universität kam nicht zu einem guten Ende. Dr. Young Oon Kim, durch die beiden Dozentinnen ebenfalls mit der Vereinigungslehre "infiziert", schreibt: "Noch etwa eine Woche später übersandte Frau [Universitätspräsidentin Helen] Kim mir ein Ultimatum: »Bitte wählen Sie - Entweder Sie distanzieren sich völlig von der Vereinigungskirche und lösen alle Verbindungen, oder Sie legen Ihr Lehramt an dieser Universität nieder.«" Die Studentinnen und Professorinnen, und mittlerweile auch die Studenten, die der Mitgliedschaft nicht abzuschwören bereit waren, wurden relegiert und im Mai 1955 aus ihren Universitäten verwiesen. Young Oon Kim: "Ich hegte keinen Haß gegen die Menschen, die mich verdammt und als häretisch von der Universität geworfen hatten. Jedoch war die Entscheidung der Ewha-Leitung ein schwerer Fehler, der Gottes Werk behinderte und vielen Menschen den Weg zu ewigem Leben verstellte."

Der britische Theologe George D. Chryssidis verfaßte eine Studie über das Auftreten des Sun Myung Moon, in der er die entwicklung der Vereinigungskirche in den 50iger Jahren ausführlich untersucht. Wie er schreibt, wurde die Kirche infolge der vielen Anschuldigungen polizeilich überwacht, denn "die Autoritäten zeigten sich eher geneigt, an die Vorwürfe über Sexorgien zu glauben als an Berichte über lange Gebete und Vorträge, und sie verhafteten Sun Myung Moon und vier andere Personen am 4. Juli 1954. Man beschuldigte ihn unter anderem unerlaubter sexueller Praktiken. Doch alle Anklagen wurden schnell fallengelassen, bis auf eine – Umgehung der Wehrpflicht." Die Vorwürfe wurden auf Betreiben christlicher Kreise weithin publiziert. Daß Rev. Moon nach drei Monaten freikam und in allen Punkten für unschuldig erklärt wurde, fand weniger starke Beachtung. Nur Won Pil Kim verbrachte noch einige weitere Wochen im Gefängnis, weil er noch im wehrpflichtigen Alter war und sich nicht zur Armee gemeldet hatte.

Es folgten Jahre intensiver Expansion und großer Missionanstrengungen. Mitglieder zogen in 40tägigen Missionaktionen über Land, predigten und suchten neue Anhänger. Die Kirche war sehr arm, Haupteinahmequelle war Produktion und Verkauf von Bromide Fotos. Manchmal langte es kaum für den täglichen Reis, aber sie publizierte am 15. August 1957 die ersten gedruckten Exemplare der Göttlichen Prinzipien, formuliert von Hyo Won Eu und autorisiert von Reverend Moon, der auch die Missionsanstrengungen leitete und 1958/59 die ersten Missionare ins Ausland entsandte, nach Japan und in die Vereinigten Staaten. 1960 markiert die Hochzeit von Sun Myung Moon und Hak Ja Han einen wichtigen Fortschritt auf dem geistigen Weg zur Etablierung wahrer Elternschaft. Andere Kirchenmitglieder werden von Reverend Moon gesegnet, die wichtigste instiutionelle Tradition der Vereinigungskirche nimmt ihren Anfang. Der geistige Umschwung bringt aber zunächst keinen Aufschwung für Mitgliederzahlen und Kirchenfinanzen. Für die nächsten drei Jahre wenigstens bleibt die Kirche sehr arm, alle verfügbaren Gelder fließen in die Mission.

Mit dem Ende der fünfziger Jahre ist auch die erste Phase von Sun Myung Moons Wirken zum Abschluß gekommen. Das Bemühen der Jahre 1945 - 52, von christlichen Gruppen und politischen Autoritäten Koreas als spiritueller Führer akzeptiert zu werden, ist fehlgeschlagen. Die Etablierung der Vereinigungskirche ist trotz großer Widerstände erfolgreich, und die Gruppe hat den Sprung von Korea nach Japan und in die westliche Welt geschafft. Damit hebt die Vereinigungskirche sich von den anderen neureligiösen Gruppen ab, die in Korea bekannt sind. Reverend Moon erörtert in seinen Predigten grundlegend die gleichen Themenkreise wie in späteren Jahren, hebt aber besonders Jesu Vorbild und Auftrag an den Menschen hervor. Über die Rolle des Herrn der Wiederkunft spricht der Prediger stets in Ausdrücken, die Zukünftigkeit und Konditionalität beinhalten. Manche Anhänger haben in ihren Berichten über die Jahre vor 1960 stark mystische Akzente gesetzt, andere schilderten die Umstände nüchtern. So schreibt ein Bericht, als Sun Myung Moon 1943 mit der Fähre von Japan nach Korea übersetzen wollte, seien seine Füße auf dem Boden "wie festgeklebt" gewesen, ein anderer gibt schlicht an, "die Fähre war überfüllt". Einig sind sich alle Berichte darin, daß die ursprünglich für die Überfahrt gewählte Fähre durch B-26 Bomber versenkt wurde und dieh Benutzung des nächsten Bootes sein Leben rettete. Alle Berichte stimmen darin überein, daß diese Jahre ebensosehr von Entbehrung und Not wie von intensivsten geistigen Erfahrungen gekennzeichnet waren.