Kritiker bergeweise

Der bulgarische Uno-Botschafter Stoyan Ganev war 1992-1993 Präsident der Vollversammlung der Vereinten Nationen, übte also ein Amt ähnlich dem eines Bundestagspräsidenten aus. Er übernahm es während seiner Präsidentschaft, Mrs. Moon im September ´93 zu einer Rede im Gebäude der Vereinten Nationen einzuladen und sagte über den Gründer der Vereinigungskirche: "Reverend und Mrs. Moon haben auf vielen Gebieten menschlichen Strebens konstruktive Beiträge geleistet. Sie haben die Religionsfreiheit verteidigt. Sie haben sich gegen jede Form des Rassismus und der Diskriminierung gewandt. Minderheitenorganisationen in aller Welt schätzen ihre Taten. In den letzten zwei Jahrzehnten haben Reverend und Mrs. Moon in den USA so gearbeitet, als sei dies ihr eigenes Heimatland, wobei sie die Aufgabe Amerikas als Föderer von Frieden, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit betonten." Was ist bei soviel Lob und Leistung von der Kritik an Reverend Moon und seiner weltweiten Bewegung zu halten?

Die Vereinigungskirche ist – vielleicht den Anstrengungen Sun Myung Moons zum Trotz – keine Kongregation der Heiligen. Weder nach den Maßstäben ihres Gründers noch Kraft der von ihm vorgegebenen Definition zur Bedeutung einer Mitgliedschaft. Wer den Kritikern der Vereinigungskirche zuhörte, bekam sogar oft dem Eindruck vermittelt, Reverend Moon hielte seine Nachfolger in einer Art höllischer Klapsmühle auf Trab, deren – man war sich da nicht einig – erster Insasse oder skrupeloser Vorsteher er sei. Vor allem unseriöse Bewertungen haben Reverend Moon und seine Kirche kaum je differenziert behandelt. Kritik wurde aus ideologischer (a) wie theologischer (b) Sicht geübt, die Aufrichtigkeit, Finanzierung, Lebensform und Organisationsstrukturen der Vereinigungskirche (c) wurden ebenso attackiert wie Aussehen, Sprechweise, Lebensführung und Ziele des Gründers (d) und schließlich das Gehabe und Auftreten einzelner/aller Mitglieder (e) – oft in einem wilden Mischmasch aus a, b c, d und e.

In den siebziger Jahren grassierte in Teilen der Leiter- und Mitgliedschaft der Vereinigungskirche die gravierende Unsitte, jede Kritik, jede forschende Anfrage von Angehörigen, letztendlich auch jede Verbindung zur bürgerlichen Welt durch Ausbildung, Studium etc. als "satanisch" zu verteufeln – im wahrsten Sinne des Wortes. Aus heutiger Betrachtung mag dies insoweit verständlich sein, als daß mit bester Absicht und größtem Einsatz durchgeführte Missionsarbeit nicht nur mißverstanden, sondern plump lächerlich gemacht und in den Dreck gezerrt wurde. Einen Gefallen hatte die Kirche sich mit ihrer Weltverdammung nicht getan, aber es steht dahin, daß auch ein sanfteres Vorgehen nicht mit fairen Kommentaren beantwortet worden wäre. Die Gesamtlinie der Aktivitäten lief so sehr gegen den Strich der Zeit, daß aus den Lagern des bürgerlichen Konservatismus, des klassischen Liberalismus, des linkstheologischen wie des evangelikalen Christentums, des staatstragenden Sozialismus und des radikalen Marxismus Ablehnung zu hören war. Schockierte Reaktionen von seiten Angehöriger der meist jungen, aber so gut wie immer volljährigen "Moonies" sind noch gesondert zu nennen und zu erörtern.

Ohne Anti-Moon Aktivisten und hauptberufliche Gegner, die ihre Thesen mit großer Ausdauer in Öffentlichkeit und Medien präsentierten, wäre die Vereinigungskirche in den siebziger und achtziger Jahren nicht so heiß diskutiert worden. Die Figur im Fadenkreuz ihrer Kritik wertete dies eher als anregend. "Heute ist sogar das Judentum gegen uns. Juden sagen, wir seien antisemitisch, das Christentum hat sich gegen uns gewandt, genau wie der Kommunismus. Die amerikanische Regierung hat nicht gerade den roten Teppich für uns ausgerollt… Was tue ich also? Bin ich so naiv, nicht um die Opposition zu wissen, die da draußen besteht?… Sollte ich diplomatisch sein oder sollten wir die Welt durchschütteln? Soll doch die Aufmerksamkeit der Welt sich auf uns richten. Sollen sie doch auf mich eindreschen; sollen sie doch auf uns einschlagen. Indem sie das tun, schulden sie uns etwas."

"Ich bin bereit, der Straße des Leidens zu folgen, weil dort, wo die Straße endet und das Alter kommt, Ruhm wartet. Dort wird Sonnenschein herrschen." Der Motivationshintergrund der Moon-Gegner war in vielen Fällen christlich bzw kirchlich. Manche Christen hielten den messianischen Anspruch Reverend Moons für das schlichte Antichristentum und suchten die Auseinandersetzung mittels schlagender Bibelzitate, eigenen Fundamentalismus demonstrierend. Andere entwickelten ihr Interesse als Vertreter der Großkirchen. Als Sektenexperten oder Beauftragte für Weltanschauungsfragen verwiesen sie oft darauf, daß sie sich mit einer Vielzahl von Gruppen zu befassen hätten, von Altkatholiken über Scientologen zu Zeugen Jehovas.

Diese Generalistenstrategie führte dazu, daß sie sich vielleicht für Spezialisten hinsichtlich eines Phänomens halten konnten; Experten für eine einzelne Gruppe waren sie deswegen noch lange nicht. Nicht selten war man sich unter den Herren Experten gar uneinig, ob eine bestimmte Gemeinschaft eine Sekte sei oder nicht. Da die kirchlichen Sektenbeauftragten ihre Eintopfsicht der sogenannten »Jugendreligionen« eifrig an Medien und Öffentlichkeit weitervermittelten, vermischten ihre dünnen Kenntnisse sich dort mit Emotionen und Sensationsmache zu einer ungenießbaren Boullion der Angst und Ablehnung. Der deutsche Religionswissenschaftler Albert C. Scheffler erstellte 1989 in der Reihe "Europäische Hochschulschriften" eine Studie über das Bild der »Jugendsekten« in der Öffentlichkeit. Er kam zu dem Schluß: "Das Bild, das die öffentliche Meinung von Jugendsekten hat, ist in der Regel das von kriminellen Ausbeuterorganisationen mit einander ähnlicher Vorgehensweise, während es sich in Wirklichkeit um neue Religionen mit völlig unterschiedlicher Ausrichtung handelt." Scheffler stellte auch fest: "Die Verschiedenartigkeit der behandelten Religionsgemeinschaften macht es notwendig, zwischen den einzelnen Gemeinschaften möglichst genau zu differenzieren. Dies jedoch geschieht in der öffentlichen Meinung gerade nicht."

Wer bedenkt, daß Reverend Moon sich und seine Nachfolger mit "Soldaten" verglichen hat, "die vorwärts marschieren, um die Wiederherstellung durch Wiedergutmachung zu erringen" , kann auch als Mitglied der Vereinigungskirche nicht ganz von sich weisen, daß 1980 in einer Analyse des BMFJ der Eindruck wiedergegeben wurde, die Gruppe sei "sehr geschlossen und streng autoritär geführt." In der Gegenwart kann von autoritären Strukturen in der deutschen Vereinigungskirche keine Rede mehr sein. Die Mitglieder sind auch weiterhin aufgerufen, durch ihr Leben an jedem Tag für die Wandlung der Welt zu wirken, doch die Betonung verschob sich vom kämpferischen zum konstruktiven. Ein deutlicher Ausdruck des Fortschritts von geschichtsgebundener Wiederherstellung zur Orientierung auf zukünftige Strukturen hin ist das neue Familiengelöbnis. Das Gelöbnis, das einzige liturgisch im Wortlaut festgelegte Gebet der Vereinigungskirche, nimmt seit dem 1. Mai 1994 u.a. auf den Kampf zur Überwindung Satans keinen Bezug mehr. Es betont an erster Stelle die Ausrichtung der Familie auf wahre Liebe und die Verwirklichung des Schöpfungsideals.

Die Vorbildrolle der ersten Wahren Eltern hat dabei für Unifikationisten ebenso weiterhin Bestand wie die Reverend Moon entgegengebrachte Ehrerbietung. Die Nachfolger sind stolz auf den Stifter ihrer Gemeinschaft. Konrad Löw, Professor für Politologie an der Universität Bayreuth und aktiver Katholik wurde wegen seiner Kontakte zur Vereinigungskirche unter Feuer genommen und wollte es dann genau wissen, was es mit dieser Gruppe und ihrer Nachfolgewilligkeit auf sich habe: "In mehreren längeren Gesprächen mit Anhängern Moons habe ich diese Bindung nachdrücklich thematisiert. Natürlich, er sei für sie die große Autori Benutzung des näc Kadavergehorsam, ein Ausdruck, der seine Entstehung dem vierten Gelübde der Jesuiten verdanken dürfte, könne keine Rede sein. Wollte er sie zu einem unsittlichen Tun verpflichten, würden sie ihn nicht wiedererkennen und demzufolge auch nicht respektieren. Aber derlei Gedankenspiele seien für sie geradezu schmerzerregend. – Ich glaubte die Entrüstung aufs Wort. Sie war nicht gespielt." Ehrerbietung und Glaubensgehorsam sind der christlichen Minderheit in Deutschland übrigens durchaus ein Begriff. Und so ganz fremd scheinen Bilder geistlichen Kampfes auch der christlichen Lehre nicht, man lese die Paulusbriefe , etwa Epheser, Philipper oder den 2. Timotheus. Und über das autoritäre Element in der katholischen Kirche… dann steht schon eher ihre Geschlossenheit zur Disposition.

Seit mindestens 15 Jahren bestätigen wissenschaftliche Arbeiten in den USA, Großbritannien und Deutschland, daß die Aussagen über gehirn- oder seelengewaschene Moonies bloße Ammenmärchen sind und die Vereinigungskirche des Reverend Moon aus soziologischer, psychologischer und religionshistorischer Perspektive keine Bedrohung der Gesellschaft oder der eigenen Mitglieder darstellt. Dieses Thema ist so umfassend bearbeitet worden und zugleich vielschichtig, daß an dieser Stelle eine genauere Erörterung nicht möglich ist. Es sei nur auf die entsprechenden Publikationen verwiesen. Daß betroffene Eltern über den Abgang ihrer Kinder in die selbstgewählte "Sekte" empört waren und sich sogar zur Entführungsaktionen überreden ließen, mag von einer Mißtrauensspirale zeugen, zu der Angehörige und Vereinigungskirche sich einmal gegenseitig angestachelt haben. Daß professionelle »Deprogrammer«, die vom Gehirnwäscherimage der Vereinigungskirche durch Gewinne an Geld und Macht profitierten, ihre kriminellen Dienste als Erlösungstaten priesen, war als Marketing erfolgreich und paßt einfach zu ihnen.

Aber auch nach eingehenden Analysen aller Kontroversen bleibt ein gewisser, nicht zu erklärender Bodensatz gegen Reverend Moon gerichteter Anschuldigungen. Es hat einzelnen Mitgliedern der Vereinigungskirche schon lange geschwant, daß ein Teil der unsachlichen und unmäßigen Diffamierungen gezielt von Warschauer Pakt Staaten aus verbreitet wurde. Beispielsweise kam aus dem Militärverlag der DDR ein Buch, das an Hanebüchenheit kaum zu übertreffen war. Östliche Nachrichtendienste hatten sich nachweislich intensiv mit Reverend Moon befaßt, ebenso wie mit anderen "Feinden der Weltrevolution". Der jüdisch-deutsche Historiker Michael Wolffsohn hat in dem 1995 erschienen Buch "Die Deutschland-Akte" nachgewiesen, daß der Antisemitismus der deutschen Neonazis aus der DDR genährt und mitunter gezielt dort produziert wurde. "Ein detaillierter Plan legte fest, über welche Neonazi-Organisationen in Westdeutschland antisemitische Rundbriefe an andere Organisation versandt und »Mittel zur Verteidigung Eichmanns« gesammelt werden sollten. Die U-Boote der Stasi »führten den westdeutschen Rechten die Hand«". Das Thema ist noch nicht weiter untersucht worden, es scheint aber durchaus vorstellbar, daß die Stasi, die umfangreiche Akten über die Vereinigungskirche angelegt hatte, sich auch hier meinungsbildend einbrachte. Der Antikommunist Moon war jedenfalls laut Stasi "gefährlich" und diverse Blätter mit unstrittiger Anbindung an östliche Staatsparteien publizierten einige der wildesten Vorwürfe, die je gegen die Vereinigungskirche zu hören waren.